Rechtliche Situation von ukrainischen Geflüchteten in Deutschland in 2023

21. März 2023

In diesem Beitrag beleuchten wir die aktuelle Situation rund um die Aufnahme von ukrainischen Staatsbürgern in Deutschland und das diesbezügliche Aufenthaltsrecht gem. § 24 AufenthaltG.

Seit Beginn des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine kommen vermehrt Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland an. Zu Anfang des Krieges waren die Zahlen der Flüchtenden enorm, so dass die Kommunen, Länder und der Bund die schiere Masse an Menschen nur schwer versorgen und unterbringen konnte. Insbesondere auch weil ukrainische Staatsbürger mit Ihren Ausweisdokumenten legal in das Bundesgebiet einreisen können waren die Zahlen an Geflüchteten zu Anfang nur zu schätzen. 

Zwischenzeitlich gibt es jedoch erste Statistiken über die Zahl von Geflüchteten aus der Ukraine.

Zwischen Ende Februar 2022 und dem 12. März 2023 wurden 1.050.147 Geflüchtete aus der Ukraine im Ausländerzentralregister (AZR) registriert. Davon haben:

  • 792.904 einen Aufenthalt nach §24 AufenthG
  • 119.961 eine Fiktionsbescheinigung (d.h. es wurde noch nicht über Antrag entschieden)
  • 99.947 ein Schutzgesuch geäußert
  • 37.335 noch kein Schutzgesuch oder Titelerteilung.


Von den im AZR registrieren Geflüchteten aus der Ukraine sind:

  • Rund 96 Prozent ukrainische Staatsbürger*innen.
  • Unter den Erwachsenen sind knapp 69 Prozent Frauen, rund 31 Prozent Männer.
  • Rund 348.500 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, davon die meisten (38 Prozent) im Grundschulalter (6-11 Jahre).

(https://www.diw.de/documents/dokumentenarchiv/17/diw_01.c.861918.de/221214-gesamtbrosch%C3%BCre-ukraine.pdf)

Die rechtliche Situation für Ukrainer*innen gestaltet sich derzeit wie folgt:

  • Ukrainische Flüchtlinge können ohne Visum nach Deutschland einreisen. Nach der Einreise können sie sich für 90 Tage in Deutschland aufhalten (Anhang II der EU-Verordnung 2018/1806). Vorstehende Regelung gilt vorerst bis zum 31. Mai 2023.
  • EU-Massenzustrom-Richtlinie: Auf europäischer Ebene wurde am 4. März 2022 die "Massenzustrom-Richtlinie" aktiviert. Das bedeutet: Ukrainische Geflüchtete müssen in Deutschland und allen anderen EU-Ländern kein normales – üblicherweise langwieriges und bürokratisches – Asylverfahren durchlaufen. Stattdessen bekommen sie automatisch einen Aufenthaltsstatus. Dieser Aufenthaltsstatus – genannt: »vorübergehender Schutz« – gilt zunächst für ein Jahr und kann sich zweimal automatisch um sechs Monate verlängern. Der Europäische Rat kann diesen Status noch einmal um ein weiteres Jahr, auf maximal drei Jahre, verlängern. In Deutschland wurde die Richtlinie durch den §24 AufenthG umgesetzt.
  • Derzeit laufende Asylverfahren von Ukrainer*innen werden zur Zeit vom BAMF nicht entschieden, sondern "rückpriorisiert", das heißt vorläufig zurückgestellt.
  • Abschiebungen sind laut Bundesinnenministerium auf Anfrage des MEDIENDIENSTES derzeit "nicht denkbar". Die Zuständigkeit für Abschiebungen liegt aber bei den Bundesländern. Sie müssen daher über einen Abschiebestopp entscheiden (§ 60a I AufenthaltG).
  • Eine Sonderregelung gibt es für Jüdinnen:Juden aus der Ukraine. Sie können über eine jüdische Gemeinde in Deutschland dauerhaften Aufenthalt als Kontingentflüchtlinge beantragen. Das gilt, wenn sie zum Zeitpunkt des russischen Angriffs dauerhaft in der Ukraine gelebt haben und jüdischer Abstammung sind.


Wie ist die Situation für Nicht-Ukrainer*innen, die aus der Ukraine fliehen?

  • Personen ohne ukrainischen Pass – sogenannte Drittstaatsangehörige, zum Beispiel ausländische Studierende aus afrikanischen Staaten – brauchen eigentlich ein Visum (oder einen anderweitigen Aufenthaltstitel), um nach Deutschland einzureisen. Wegen des Krieges wird davon eine Ausnahme gemacht: Auch Nicht-Ukrainer*innen, die sich bei Ausbruch des Krieges in der Ukraine aufgehalten haben, können ohne Visum legal einreisen und sich bis zu 90 Tage rechtmäßig in Deutschland aufhalten. Die Regelung gilt vorerst bis zum 31. Mai 2023. Grundlage hierfür ist die "Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung". 
  • Die anschließenden rechtlichen Aufenthaltsmöglichkeiten für Drittstaatsangehörige sind komplizierter als für ukrainische Staatsangehörige:
    • Familienangehörige von Personen, die einen Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG (also, nach der "EU-Massenzustrom-Richtlinie") bekommen, erhalten auch einen Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG.Quelle 
    • Anerkannte Flüchtlinge aus der Ukraine und ihre Familienangehörigen bekommen ebenfalls einen Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG.Quelle 
    • Drittstaatsangehörige mit einem befristeten oder unbefristeten Aufenthaltstitel in der Ukraine können einen Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG bekommen, wenn eine Rückkehr in ihr jeweiliges Herkunftsland unmöglich ist. Wie diese "Unmöglichkeit" zu verstehen ist, hat das Bundesinnenministerium in einem Rundschreiben vom 14.4.2022 konkretisiert: Bei Personen mit einem unbefristeten Aufenthaltstitel in der Ukraine wird im Regelfall davon ausgegangen, dass sie nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können. Personen mit einem befristeten Aufenthaltstitel in der Ukraine hingegen müssen individuell darlegen, warum eine Rückkehr nicht möglich ist (Gründe können etwa politische Verfolgung, Kriege oder persönliche lebensgefährdende Umstände sein). Bei Personen aus Syrien, Afghanistan und Eritrea wird grundsätzlich angenommen, dass eine Rückkehr unmöglich ist. Auch die EU-Kommission hat in "Operativen Leitlinien" zur Umsetzung der "EU-Massenzustrom-Richtlinie" Hinweise zur Auslegung gegeben.Quelle 
    • Drittstaatsangehörige, die keinen Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG erhalten, können sich um anderweitige Aufenthaltstitel bemühen: etwa einen Aufenthaltstitel zum Zwecke des Studiums oder einen humanitären Aufenthaltstitel nach Durchlaufen eines Asylverfahrens. Etwa in Niedersachsen und NRW gibt es einen Erlass für Studierende mit der Möglichkeit einer Fiktionsbescheinugung für ein Jahr. 

Welche Rechte ergeben sich aus § 24 AufenthG / aus der "EU-Massenzustrom-Richtlinie"?

Personen, die gemäß der "EU-Massenzustrom-Richtlinie" (in Deutschland: § 24 AufenthG) vorübergehenden Schutz bekommen, haben im Aufnahmeland folgende Rechte:

  • Ausübung einer abhängigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit, 
  • Zugang zu Bildungsangeboten für Erwachsene, Fortbildungen, bzw. Zugang zum Bildungssystem für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren
  • Anspruch auf medizinische Versorgung
  • Anspruch auf Sozialleistungen
  • Anspruch auf angemessene Unterbringung bzw. finanzielle Unterstützung für eine Unterkunft. Die Geflüchteten werden in Deutschland nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer verteilt. Das betrifft nicht Personen, die privat untergekommen sind.Quelle 
  • Ein späterer Wechsel zu einem anderen Aufenthaltsstatus (z.B. Studium, Arbeit) ist laut Rundschreiben des Bundesinnenministeriums möglich.Quelle


Welche Rechte ergeben sich aus § 24 AufenthG / aus der "EU-Massenzustrom-Richtlinie"?

Personen, die gemäß der "EU-Massenzustrom-Richtlinie" (in Deutschland: § 24 AufenthG) vorübergehenden Schutz bekommen, haben im Aufnahmeland folgende Rechte:

  • Recht zur Ausübung einer abhängigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit
  • Zugang zu Bildungsangeboten für Erwachsene, Fortbildungen, bzw. Zugang zum Bildungssystem für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren
  • Anspruch auf medizinische Versorgung
  • Anspruch auf Sozialleistungen
  • Anspruch auf angemessene Unterbringung bzw. finanzielle Unterstützung für eine Unterkunft. 
  • Ein späterer Wechsel zu einem anderen Aufenthaltsstatus (z.B. Studium, Arbeit) ist laut Rundschreiben des Bundesinnenministeriums möglich.



Chancen-Aufenthaltsrecht

5. Januar 2023

Langjährig geduldete Ausländer (Duldung) sollen künftig mehr Chancen zum Erhalt eines Bleiberechts (Aufenthaltstitel) in Deutschland erhalten. Einen entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung eines sogenannten Chancen-Aufenthaltsrechts (20/3717) verabschiedete der Bundestag am Freitag, 2. Dezember 2022.

Das sog. "
Chancen-Aufenthaltsrecht" ist am 1. Januar 2023 in Kraft getreten. Dabei handelt es sich um ein Bleiberecht vor allem für gut integrierte junge Menschen.

Das 18-monatige Chancen-Aufenthaltsrecht sollen Menschen erhalten, die am 31. Oktober 2022 seit fünf Jahren geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland gelebt haben. Ihnen soll damit ermöglicht werden, die Voraussetzungen für ein Bleiberecht in Deutschland zu erfüllen. Dazu zählen insbesondere die Sicherung des Lebensunterhalts, Kenntnisse der deutschen Sprache und der Identitätsnachweis.


Profitieren sollen davon nur Ausländer, die sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen. Straftäter sollen vom Chancen-Aufenthaltsrecht grundsätzlich ausgeschlossen bleiben, ebenso Personen, die ihre Abschiebung aufgrund von wiederholten, vorsätzlichen und eigenen Falschangaben oder aktiver Identitätstäuschung verhindern. Sofern die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der 18-monatigen Aufenthaltsdauer nicht erfüllt sind, sollen die Betroffenen in den Status der Duldung zurückfallen.

Besondere Integrationsleistungen von Geduldeten sollen gewürdigt werden, indem ihnen künftig nach sechs Jahren oder schon nach vier Jahren bei Zusammenleben mit minderjährigen Kindern ein Bleiberecht eröffnet wird. Die Voraufenthaltszeiten werden damit um jeweils zwei Jahre reduziert.

Hier findet Ihr den Gesetzestext.